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Tagungsbericht

8. APOLLON Symposium der Gesundheitswirtschaft

Digitale Gesundheitskommunikation – Zwischen Meinungsbildung und Manipulation

Von Heidrun Riehl-Halen

Während des 8. APOLLON Symposiums der Gesundheitswirtschaft am 25. November 2016 stand die digitale Gesundheitskommunikation im Mittelpunkt. Rund 250 Besucher aus dem deutschsprachigen Raum erörterten das Thema im Spannungsfeld zwischen Meinungsbildung und Manipulation. Das Branchenforum im Bremer Swissôtel zog neben Studierenden viele Vertreter aus Wissenschaft, Unternehmen, Verwaltung und Gesundheitswesen an. Veranstalter war die APOLLON Hochschule der Gesundheitswirtschaft.

Die Besucher konnten sich in vier aufeinander folgenden Impulsvorträgen sowie an vier parallelen Diskussionsforen beteiligen. Ergänzend dazu präsentierten sich 17 Kooperationspartner der Hochschule, darunter Firmen, Vereine, Kliniken und Krankenkassen auf einer Branchenbörse im Foyer. In der angrenzenden APOLLON Hochschullounge trafen sich Studierende, Absolventen, Dozenten und Interessierte zum Austausch über die vielfältigen Bildungsangebote der Fernhochschule. Während der Pausen sorgten die ‚Steptokokken’ mit Medizin-Comedy für kurzweilige Unterhaltung. Highlight des Symposiums war die Verleihung des APOLLON Studienpreises.

Professor Dr. Bernd Kümmel, Präsident der APOLLON Hochschule, begrüßte die Teilnehmer des Symposiums mit einer Rückschau auf die Gründungszeit der Bildungseinrichtung: „Im Februar 2006 schrieb sich die erste Studentin im Fach ‚Gesundheitsökonomie’ ein.“ Seitdem habe sich viel getan. „Vom ‚Experiment-Status’ bis heute ist die Zahl der Studierenden ebenso rasant gestiegen, wie das Team und die Palette der Lehrangebote“, freute sich Kümmel. Mittlerweile zähle die APOLLON Hochschule rund 3.000 Studierende, über 600 Bachelor- und Masterabsolventen sowie zahlreiche abgeschlossene Zertifikatskurse. Kein Wunder, dass sie bereits zum vierten Mal nacheinander zur beliebtesten Fernhochschule Deutschlands gewählt wurde. Auch zukünftig will das Unternehmen der Klett Gruppe wachsen: Ab März 2017 startet der neue Master-Studiengang ‚Angewandte Gerontologie’ sowie zusätzliche Zertifikatskurse. Erstmals berief Professor Dr. Kümmel einen Honorarprofessor an die APOLLON Hochschule, denn zu Beginn des Symposiums überreichte er Dr. Michael Philippi feierlich seine Ernennungsurkunde. Der ehemalige Vorsitzende der Sana Kliniken AG besetzt an der Hochschule ab Dezember 2016 eine ‚Honorarprofessur für Gesundheitsökonomie’. „Ich freue mich darauf, den Studierenden Einblicke und Hintergründe zur praktischen Arbeit in Krankenhäusern und Konzernen zu vermitteln“, sagte Philippi, der über eine hervorragende Expertise in der Führung von Gesundheitseinrichtungen verfügt.

Chancen und Risiken der Digitalisierung

Stephanie Dehne, gesundheitspolitische Sprecherin der Bremer SPD, stimmte in ihrem offiziellen Grußwort auf das Thema der Tagung ein. Mit dem Schwerpunkt ‚Digitale Gesundheitskommunikation’ sei das Symposium „am Puls der Zeit“, sagte Dehne. Dank der Digitalisierung böten sich einerseits Chancen wie die Verbesserung der Arzt-Patienten Kommunikation, der vermehrte Einsatz der Telemedizin, effektivere Abläufe im Krankenhaus und eine stärker personalisierte Medizin. Andererseits sehe sie Risiken durch Cyber-Attacken auf Krankenhäuser. Sie könnten sensible Patientendaten oder die Technik im Operationssaal gefährden. Als Voraussetzung für die digitale Gesundheitskommunikation forderte sie daher Nutzerfreundlichkeit, Schutz vor Hacker Angriffen und eine hohe Datenschutz-Qualität. „Die Digitalisierung darf nicht dem Markt allein überlassen werden, wie es bisher oft geschehen ist“, warnte Dehne.

Wohin geht der Wandel in Medizin und Medien?

Dr. Hartmut Wewetzer, machte auf die Bedeutung des digitalen Wandels aufmerksam. „Wir befinden uns sowohl in der Medizin wie in den Medien inmitten einer digitalen Revolution, deren Ausgang wir noch nicht kennen“, sagte der Medizinjournalist. Der Leiter des Wissenschaftsressorts beim Berliner ‚Tagesspiegel’ übernahm die Moderation des Symposiums. Gleich zu Beginn entwarf er drei Szenarien wie sich die digitale Gesundheitskommunikation weiter entwickeln könnte: 1. Die Bürger würden die Digitalisierung annehmen, sich vernetzen, Gesundheits-Apps nutzen und selbst zu einem Teil der „Maschinerie“ werden (mehr ist mehr). Im 2. Szenario würden aufgeklärte Verbraucher mit gesunder Ernährung und Sport selbst für ihre Gesundheit sorgen, seien eher technikkritisch und nähmen die Medizin so wenig wie möglich in Anspruch (weniger ist mehr). In der dritten Vision bliebe alles beim Alten und die digitale Gesundheitskommunikation pralle am „Wohlstandsbauch“ der Gesellschaft ab (0 Szenario). „Welches Szenario wird zukünftig wohl Realität?“, fragte Wewetzer in die Runde. Darüber solle sich das Publikum während des Symposiums ein Bild machen, regte der Moderator an, bevor er das Wort einem Kollegen übergab.

Gelegenheiten und Grenzen der Gesundheitskommunikation

Dr. med. Johannes Wimmer veranschaulichte in seinem Impulsreferat die „Möglichkeiten und Grenzen der digitalen Gesundheitskommunikation zur Patientenaufklärung“. Wimmer ist in den deutschsprachigen Medien als TV- und Video-Arzt bekannt. Im Competenzzentrum Versorgungsforschung der Dermatologie (CVderm) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) untersucht der Mediziner den Einfluss digitaler Patientenkommunikation wissenschaftlich und machte sich mit der Beratungsagentur MedServation in der Patientenaufklärung selbständig. Die Bedeutung dieses Gebietes demonstrierte Wimmer an einem einfachen Beispiel: Patienten in der Notfallaufnahme klagten oft über Fieber, obwohl sie nur eine erhöhte Temperatur hätten. „Studien belegen, dass 50 Prozent der Deutschen nicht wissen, dass man erst ab 38,5 C° Fieber hat und 72 Prozent kaum Kenntnisse über Diabetes haben“, betonte Wimmer. Doch Patientenaufklärung gehöre nun mal zu den Aufgaben von Ärzten, auch wenn sie jammerten, hundert Mal am Tag das Gleiche zu erklären. Hauptproblem sei die knappe Zeit-Kalkulation. Ärzten blieben statistisch gesehen nur sechs Minuten pro Patient, wenn sie wirtschaftlich arbeiten wollten. Eine Lösung für dieses Problem sieht Wimmer in der digitalen Gesundheitskommunikation: Wenn man 30 Patienten mit einem gut verständlichen Video informiert, bleibt im anschließenden Arztgespräch genug Zeit für individuelle Belange des Patienten. Noch effektiver seien drei Minuten Arztgespräch zum Abklären der Beschwerden, Videoaufklärung und weitere drei Minuten beim Arzt für Nachfragen, so Wimmers Erfahrungen.

Medien – Ergänzung oder Ersatz für Mediziner?

Anhand mehrerer Studien-Beispiele verdeutlichte Wimmer wie Patientenaufklärung mithilfe audiovisueller Medien wirkt. So sei die Compliance (Therapietreue) bei der Medikamenteneinnahme und die Zufriedenheit von Klinikpatienten dadurch gestiegen. Ergebnisse eines Pilotprojekts am Universitätsklinikum Essen belegten, dass die Nutzung der vorhandenen IT-Infrastruktur und medialer Kommunikation auf kostengünstige Weise dazu beitragen, Patienten auf das Arztgespräch vorzubereiten. Dies führe nicht nur zu besser informierten Patienten, sondern auch zu mehr Zufriedenheit der Ärzte. Dank der Telemedizin ließe sich auch die Wundversorgung und dermatologische Behandlung bedarfsgerechter organisieren. Der Patient schicke ein Foto der betroffenen Hautregion an die behandelnden Ärzte und Pflegekräfte. Diese entschieden, aufgrund der Fotos und der Aussagen des Patienten, wann der nächste Termin nötig sei. So könne man beschwerliche Praxisbesuche ersparen. „Aber können Videos denn Ärzte ersetzen?“, wollte Moderator Wewetzer in der anschließenden Diskussion wissen. „Nein, auf keinen Fall“, betonte Wimmer, „aber sie können sie ergänzen!“ Die Menschen hätten ein großes Bestreben, ihre Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen, daher seien TV-Magazine so beliebt. Aber vor allem vertrauten sie ihren Ärzten.

Vom Suchen und Finden der ‚besten’ Mediziner

Welchen Ärzten Patienten tatsächlich vertrauen und warum, darüber sprach Professor Dr. Martin Emmert in seinem Impulsreferat zum „Einfluss von Bewertungsportalen auf die Gesundheitsversorgung.“ Der Juniorprofessor für Versorgungsmanagement an der Universität Erlangen-Nürnberg befasst sich mit ‚Public Reporting’, der öffentlichen Bewertung medizinischer Leistungen. Wesentliches Instrument dafür sind Arztbewertungsportale oder Klinikführer, erklärte der Betriebswirtschaftler. Beispielhaft stellte er Jameda, ‚Deutschlands größte Arztempfehlung’, vor. Das Internetportal listet 150 Millionen Bewertungen und 85.000 online buchbare Termine bei 275.000 eingetragenen Ärzten auf. Emmert interessierte insbesondere die Frage: Können solche Bewertungsportale die Versorgungsqualität verbessern? Dazu hinterfragte er die Hypothese Donald Berwick’s (Berwick et al, Medical Care, Vol 41, Nr.1, 2003), dass es zwei Mechanismen zur Qualitätsverbesserung im Gesundheitswesen gibt. Bewertungsportale können demnach Patienten auf die besten Ärzte und Kliniken hinweisen (Prinzip ‚Selection’) oder sie zu einer besseren Qualität anspornen (Prinzip ‚Change’). Dem stellte Emmert den Standpunkt Rachel Werners und David Asch’s (Werner RM & Asch DA, Jama 2005; 293) gegenüber. Sie sähen zwar einen Zusammenhang zwischen öffentlicher Bewertung und dem Bekanntheitsgewinn von Ärzten, aber keine Qualitätsverbesserung ihrer medizinischen Leistungen. Stattdessen befürchteten sie ebenso negative Effekte und betonten den Mangel an wissenschaftlichen Studien.

Wo Qualität drauf steht, wird auch Qualität geleistet?

In eigenen Studien untersuchte Emmert, ob Bewertungsportale Voraussetzungen erfüllen müssen, um die Versorgungsqualität positiv zu beeinflussen. Neben der reinen Existenz, der Bekanntheit und dem tatsächlichen Gebrauch der Portale analysierte er auch die Verständlichkeit und den Nutzen ihrer Inhalte. Außerdem beleuchtete er den tatsächlichen Einfluss auf die Versorgungsqualität von der Patientenseite (‚Selection’) und Medizinerseite (‚Change’). „In Deutschland gibt es insgesamt 31 Arztbewertungsportale“, weiß Emmert aus 2016 durchgeführten Erhebungen. Solche Onlineportale seien bei 54 Prozent der Deutschen bekannt. Jeder Vierte nutze sie, jeder Zehnte habe selbst schon eine Bewertung abgegeben. Fast alle Ärzte erhielten bereits eine Einschätzung, nur vier Prozent mit der Schulnote sechs. „Von ‚Ärzte-Bashing’ kann also nicht die Rede sein“, unterstrich Emmert. Zwei Drittel der Nutzer würden sich nach den Empfehlungen im Netz richten und damit auch einen Einfluss auf die Arzt-Auswahl nehmen. Aber es hapere an der inhaltlichen Verständlichkeit und dem Nutzen der Portale: „Nur 40 Prozent der Patienten finden dort tatsächlich den ‚besten’ Arzt“, so Emmert alarmiert. Wenig Nutzen habe beispielsweise das ‚Deutsche Krankenhausverzeichnis’: „Für alle, die nicht Epidemiologie studiert haben, ist es unverständlich!“ Zudem stimme nur bei der Hälfte der Befragten die Bewertung im Netz mit der Realität in der Praxis überein. Was medizinische Qualität ausmacht, ist also nur schwer für Otto-Normalverbraucher zu erkennen. Soft Skills würden häufig überbewertet, echte Qualitätsmerkmale nicht (an)erkannt. „Auf dem Gebiet gibt es also noch viel zu tun“, lautete Emmerts Fazit, mit dem er die Zuhörer nachdenklich in die Pause entließ.

‚Pflasterfahndung’ im Publikum

Dort fanden sie rasch Abwechslung mit den ‚Steptokokken’. Musikerin Inken Röhrs und Komödiantin Elisa Salamanca bewegten und begeisterten mit ihrem Entertainment. Denn das Künstlerduo sorgte nicht nur mit Jazzmusik und Gesang für lockere Stimmung. Im ‚Walk Act’ gingen die beiden vermeintlichen Krankenschwestern rund um das Foyer auf ‚Pflasterfahndung’: Ausgestattet mit Schere, Spritze und Schabernack, lieferten sie jede Menge Überraschungen. So wandten sich die ‚Pflegekräfte’ mit ‚fachkundigen Fragen’ an das Publikum, ‚impften’ ahnungslose Tagungsteilnehmer mit ‚hochdosiertem’ Humor oder posierten bereitwillig für ein Selfie mit ‚Schwester’. Wem das zu komisch wurde, der konnte sich an den Ständen der Branchenbörse über das Angebot von Krankenkassen, Kliniken, Verlagen, Vereinen und anderen Ausstellern informieren. Studierende, Absolventen, Dozenten und Interessierte tauschten sich nebenan in der ‚APOLLON Hochschullounge’ über Inhalte der Studiengänge oder Zertifikatskurse aus.

Gesundheitskommunikation im gesellschaftlichen Wandel

Nach der Pause richtete Christoph Koch, Leiter des Wissenschaftsressorts beim ‚Stern’, den Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen. In seinem Impulsreferat verdeutlichte er an einem Organigramm die Komplexität unseres Gesundheitssystems. Von den Patienten, Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen bis hin zur gesetzgeberischen Ebene in Ministerien und Bundestag sind die Akteure untereinander mehrfach vernetzt. Dies erkläre, wie untrennbar Gesundheitskommunikation und Gesundheitssystemkommunikation zusammenhängen würden. Welche Konsequenzen sich in der Praxis daraus ergäben, habe man im Wahlkampf zum britischen EU-Referendum gesehen: EU-Gegner versprachen, anstelle der 350 Millionen Pfund in EU-Beiträge das Geld ins britische Gesundheitssystem zu stecken, wenn die Briten den EU-Austritt wählten. „Der Brexit kam und die Populisten nahmen ihr Versprechen zurück“, erläuterte Koch die Manipulation der Brexit-Politiker. Hauptproblem hierzulande sei die Komplexität und der mangelnde Austausch über unser Gesundheitssystem. Das führe zu fehlenden Kenntnissen über die Zusammenhänge und subjektiver Wahrnehmung von Missständen. Aus der Praxis kenne man etwa die Patientenfrage: „Warum muss ich immer so lange warten, bis ich an der Reihe bin?“ Die Situation führe leicht zu Vorurteilen und mache unser Gesundheitssystem anfällig für populistische Kampagnen. „Einfache Wahrheiten“ und „populistische Konzepte“ werden auch bei uns mehr Befürworter finden, befürchtet Koch.

Gesundheitsinformation – Wie es euch gefällt

Großen gesellschaftlichen Einfluss auf die Gesundheitskommunikation habe der technische Fortschritt, insbesondere der Wandel in den Medien. Beispielhaft nannte Koch das Internet, zu dem inzwischen über 80 Prozent der deutschen Haushalte Zugang hätten. Bedenklich sei allerdings: Gerade von der Altersgruppe ab 6O Jahren, die das höchste Erkrankungsrisiko trage, werde es am seltensten genutzt. Die digitale Kluft (digital divide) zwischen netzaffinen Info-Junkies und traditionell informierten Bevölkerungsteilen betreffe also auch die Gesundheitskommunikation. „Wir Kommunikatoren dachten bisher, dass alle so interessiert sind wie wir, aber das war eine Fehleinschätzung“, bedauerte Koch selbstkritisch. Hier sei noch viel zu tun. Daher forderte er andere Informationsstrategien, um auch ältere und bildungsferne Zielgruppen zu erreichen. Viele fühlten sich von der Informationsflut der Medien überfordert und wünschten sich mehr Anleitung von einem „Leader“. Manch einer vermisse sogar die autoritäre Arzt-Persönlichkeit. Dieser Situation muss in der Forschung und Ansprache mehr Rechnung getragen werden, wünschte sich Koch für die Zukunft. „Wie stellen sie sich denn mehr ‚Leadership’ bei Facebook konkret vor?“, fragte ein Zuhörer in der angeregten Diskussion nach dem Vortrag. „Die Informationsangebote müssen attraktiver gestaltet werden“, antwortete Koch und nannte Eckart von Hirschhausen als positives Beispiel, weil seine Sendungen ebenso populär wie wahrheitsgetreu seien.

(Sozial-)Verhalten in Sozialen Medien

Um das „Informations- und Kommunikationsverhalten in der digitalen Gesundheitskommunikation“ ging es auch im gut besuchten Forum 1. Dr. Jan-Hinrik Schmidt, Referent am Hans-Bredow-Institut, Hamburg bezog sich auf Soziale Medien (‚Social Media’). Der Soziologe erforscht, wie sie die Beziehungspflege verändert. Von den Internetnutzern in Deutschland befänden sich 68 Prozent mindestens einmal pro Woche auf ‚WhatsApp’, 42 auf ‚Wikipedia’, 40 auf ‚Facebook’, 40 auf ‚YouTube’, 12 auf ‚Instagram’ und 8 auf ‚Twitter’ (ARD/ZDF Onlinestudie 2016). Als ‚Hybride Medien’ ermöglichten sie sowohl Individual- als auch Massenkommunikation. In ihrer Funktion als ‚Intermediäre’ könnten sie Informationen anderer Medien wie Zeitungen oder Filme verbreiten. Jeder könne sein personalisiertes Informationsangebot zusammenstellen und ebenso individuell auf andere Beiträge reagieren. Schmidt kritisierte jedoch, dass durch Softwareeinstellungen, ökonomische Interessen der Betreiber und Nutzerverhalten, so genannte Filterblasen, entstünden: „Gesteuert durch mathematische Algorithmen bekommt man immer nur die Art von Information, die man sowieso schon gesehen, geliked oder geteilt hat.“ Dennoch seien Soziale Medien seit etwa fünf Jahren ein wichtiger Bestandteil der Öffentlichkeit.

‚YouTube’: Gesundheitsjournal der Jugend

Professor Dr. Nicola Döring erforscht am Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft (IfMK) der Universität Ilmenau Gesundheitskommunikation auf ‚YouTube’. Das Video-Portal sei bei den Deutschen sehr beliebt; 80 Prozent der Jüngeren nutzten es regelmäßig. Auch dessen Angebot an Videos über Gesundheitsthemen wachse der Datenbank PubMed zufolge – von knapp 40 im Jahr 2010 auf fast 140 Publikationen in 2016. Jugendliche favorisieren Ratgeberformate über Fitness, Wellness oder psychische Beschwerden, weiß Döring aus eigenen Studien. Viele ‚YouTube’-Videos thematisierten präventive Gesundheitsthemen wie Impfung oder Ernährung und erzielten große Reichweiten. Zum Anbieterspektrum zählte die Psychologin sowohl klassische Medien (Fernsehsender), Experten aus Wissenschaft und Praxis, Firmen, Laien oder ‚YouTuber’. Letztere seien aktuell am erfolgreichsten, was viele Tagungsteilnehmer überraschte. Spitzenreiter wäre der Selbsterfahrungsbericht „Mein Kampf gegen Akne/Pickel…“ mit gigantischen 886.679 Aufrufen, schmunzelte Döring. Über die Videos würden sowohl positive Effekte wie Motivation, Handlungsanleitung oder End-Stigmatisierung von Krankheiten, als auch negative Wirkungen durch Desinformationen (Impfgegner), riskante Praktiken (Extremdiäten) oder Kommerzialisierung (Supplemente) erzeugt. Trotz dieser Erkenntnisse bleibt noch viel zu tun, appellierte Döring an Studenten und Wissenschaftler, denn es mangelt an Studien zur Mediennutzung und -wirkung sowie Vergleichen mit Print-Medien. „Ich habe schon jetzt viel dazu gelernt“, sagte eine Zuhörerin in der anschließenden Diskussion und weitere stimmten ihr zu.

Vom Halbgott in Weiß zum Arzt auf Augenhöhe

Im Forum 2 stand die Arzt-Patienten-Kommunikation im Mittelpunkt. Die Digitalisierung hat das Kommunikationsverhalten der Menschen in den letzten zehn Jahren verändert und mit ihr die Rollenbilder in Kliniken und Praxen, darin waren sich die Forumsteilnehmer einig. Dr. Johannes Bittner, Projektmanager der Bertelsmann Stiftung, präsentierte dazu die Ergebnisse seiner 2015 bei der Stiftung durchgeführten Patientenumfrage. Viele Patienten hätten konkrete Erwartungen an ihre Ärzte. Demnach wünschen sich 45 Prozent der Befragten Videosprechstunden und etwa ebenso viele Medikamente über ‚Fernverschreibung’. „Die Mehrheit will ihren Arzt auch telefonisch oder Online konsultieren können“, so Bittner. Dies sei bei vielen Diagnosen und Situationen auch möglich. Vorteile sieht er insbesondere für chronisch Erkrankte, bei Besprechungen von Untersuchungsergebnissen und aufgrund der Zeitersparnis. Ärzte seien da reservierter. Sie hätten rechtliche und ökonomische Bedenken, sorgten sich um das Arzt-Patienten-Verhältnis oder besäßen einfach wenig Technikaffinität. In der Diskussion zeigte sich, dass jüngere Mediziner durchaus positiv gegenüber digitalen Medien eingestellt sind und der digitale Wandel sich erst am Anfang befindet. Mehrere Diskutanten äußerten einen riesigen Forschungsbedarf auf dem Gebiet. Wesentlich sei jedoch die Haltung zum Patienten und seinen Bedürfnissen.

Webcare via Webware

Die Teilnehmer im Forum 3 beschäftigten sich mit den Zielen, Instrumentarien und Botschaften der digitalen Gesundheitskommunikation. Dr. Guido Nöcker von der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Köln legte den Fokus auf Internet- und Soziale Medien für die gesundheitliche Aufklärung. Im Rahmen einer Online-Umfrage untersuchte das BZgA-Forscherteam die Akzeptanz, Erkennbarkeit und Vertrauenswürdigkeit von Gesundheitsforen (Laien-Austausch über Gesundheitsfragen), Infoportalen und Facebook Fanseiten, nachdem diese Medien durch Informationen, Antworten oder Reaktionen der BZgA Social-Media Redakteure betreut wurden. Diese Betreuung bezeichnete Nöcker als ‚Webcare’ (Netzpflege). Hierzu wurden fremde (nicht BZgA) Medien via online Software, so genannte ‚Webware’, zu den Themen Sexualaufklärung und Familienplanung eingesetzt. Die befragten Nutzer schätzten die ‚Netzpfleger’ der BZgA wegen ihrer Vertrauenswürdigkeit, Kompetenz und Sachlichkeit. Über die Foren konnten zwar mehr User erreicht werden, dafür war aber die Resonanz auf den Websites höher. Inhaltlich begrüßten die User die Beschränkung auf gesundheitliche Kernthemen. Webcare steigert auch die Bekanntheit der BZgA eigenen Aufklärungsangebote und deren Reichweite, fasste Nöcker die Ergebnisse zusammen. Bei dem häufigen Wunsch nach Erfahrungsaustausch unter Gleichgesinnten seien den BZgA-Redakteuren jedoch Grenzen gesetzt, weil dieser nicht von Expertenseite geleistet werden könne.

Apps zum Informieren und Aktivieren

Im zweiten Teil stellte Professor Dr. Viviane Scherenberg, Dekanin für Prävention und Gesundheitsförderung der APOLLON Hochschule, die Möglichkeiten von Gesundheits-Apps für Aufklärung und Prävention vor. Einer aktuellen Bitkom Studie zufolge nutzen 30 Prozent der Deutschen solche Smartphone-Applikationen (Apps). Im Vergleich mit anderen Ländern liege Deutschland damit im Mittelfeld. „Typische Nutzer sind junge Technik affine Männer“, so Scherenberg. 55 Prozent der Deutschen setzten Apps zur Verbesserung von Fitness und Gesundheit ein, ebenso viele zur Bewegungs-Motivation, etwa als Schrittzähler. Wichtige Voraussetzungen für Qualität sind Scherenbergs Untersuchungen zufolge die Entwicklung durch Experten-Teams, Nutzerfreundlichkeit und Motivationselemente. Die Ergebnis-Qualität könne an der Nutzungsdauer, den Verhaltensänderungen und dem Gesundheitszustand der User gemessen werden. Doch „ein Drittel aller Apps werden nach drei Monaten nicht mehr verwendet“, gab Scherenberg zu bedenken. Chancen sieht sie in der guten Erreichbarkeit, der Angebotsvielfalt und Individualisierbarkeit der niedrigschwelligen IT-Helfer. Grenzen ergäben sich durch mangelnde Qualität, Unübersichtlichkeit oder Wissensdefizite beim Nutzer. Apps seien auch für Gesundheitsunternehmen hilfreich. Scherenberg kritisierte jedoch, dass sie oft zu Marketingzwecken ausgenutzt würden.

Kommunikation zwischen Information und Manipulation

Im Forum 4 standen „Ethische und Datenschutzrechtliche Dimensionen der digitalen Gesundheitskommunikation“ im Mittelpunkt der Diskussion. Der Schutz von sensiblen Gesundheitsdaten muss im Rahmen der digitalen Kommunikation besonders berücksichtigt werden. Dr. Doreen Reifegerste, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Journalismus und Kommunikationsforschung (IJK), Hannover beleuchtete ethische Herausforderungen in der Gesundheitskommunikation. Patienten seien einer Vielzahl unterschiedlicher Gesundheitsinformationen ausgesetzt, die auch unerwünschte Wirkungen erzeugen könnten. Als Lösungsansätze nannte Reifegerste Gesundheits- und Medienkompetenz, E-Health Literacy, mit der Fähigkeit zur kritischen Quellenbeurteilung. Einer Befragung des ‚Gesundheitsmonitor 2015’ zufolge sind Ärzte und Apotheker glaubwürdigere Quellen für Patienten als Zeitungen oder Internetforen. Die Qualität digitaler Gesundheitskommunikation könne beispielsweise an der Nutzerfreundlichkeit, Quellenangaben und Verbraucherbewertungen erkannt werden. Big Data, die Anwendung großer Datenmengen, böte Chancen, etwa zur Früherkennung oder Erforschung von Krankheiten größerer Patientengruppen. Als Risiken befürchtet sie jedoch Diskriminierungen, den Weiterverkauf von Patientendaten oder Aufschläge auf Krankenkassen-Beiträge.

Gesundheitsdaten gesetzlich geschützt

Solch ein Missbrauch von Gesundheitsdaten stellt eine Verletzung des Grundrechts auf die informationelle Selbstbestimmung dar. Über diesen Aspekt referierte Dr. Imke Sommer, Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit der Freien Hansestadt Bremen. Sie wies insbesondere auf juristische Zusammenhänge zur Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hin, die ab 25. Mai 2018 gilt. Diese fußt auf der Europäischen Grundrechtecharta mit dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten, Achtung von Privatleben und Kommunikation. Artikel 5 beinhalte das Gebot der Datenminimierung. Bei Verstoß drohen Geldstrafen bis zu 20.000.000 Euro, warnte Sommer. Doch der allgemeine Trend zur Ansammlung von riesigen Datenmengen (‚Big Data’) steht dem Gebot der Datenminimierung entgegen. Das Problem: Smarte Anwendungen wie Praxissoftware, Telemedizin und vernetzte IT-Systeme in Krankenhäusern bedienen sich dem ‚Big-Data’. Nach dem DGSVO gelten grundrechtliche Anforderungen an ‚smarte’ Anwendungen, beispielsweise der Verzicht oder die Anonymisierung personenbezogener Daten oder die freiwillige Einwilligung, erklärte Sommer. Als Mittel für einen erschwerten Zugang zählte sie technische und organisatorische Maßnahmen wie Verschlüsselung und Zugriffskontrollen auf.

Abschluss mit Auszeichnung

Am Nachmittag prämierte die Hochschule die besten Abschlussarbeiten mit dem APOLLON Studienpreis. Am Wettbewerb konnten alle Absolventen teilnehmen, die im vergangenen Jahr ihre Bachelor- oder Masterarbeit mindestens mit der Gesamtnote 1,5 abschlossen. 15 Personen beteiligten sich – die meisten im Fach Gesundheitsökonomie. Während der Mittagspause hatten sie ihre Thesen vor Interessierten auf der Tagung per Poster präsentiert. Eine siebenköpfige Jury aus Hochschulprofessoren, Alumni, Tutoren, externen Wissenschaftlern und Krankenkassen-Vertretern wählte jeweils drei Bewerber mit Bachelor- und Masterabschluss. Dr. Christoph Herborn, Medizinischer Direktor der Asklepios Kliniken Hamburg GmbH, überreichte als Sponsor die Studienpreise an die Gewinnerinnen. Den ersten Preis bei den Masterarbeiten erhielt Yvonne Marx mit einer Machbarkeitsstudie zur Reduktion von Polypharmazie. Der zweite Preis ging an Carmen Müller, die sich mit individuellen Lösungen zu Finanzierung und Service von medizintechnischen Produkten befasste. Über den dritten Preis freute sich Daniela Ulbrich. Sie untersuchte die Auswirkungen der gesetzlichen Neuerung zur ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung. Unter den Bachelor-Absolventen gewann Alexandra Sagel mit ihrer Arbeit über „Lieferengpässe bei Arzneimitteln in Deutschland“ den ersten Preis. Melanie Damme bekam den zweiten Preis für ihre Untersuchungen zum Thema Risikomanagement in Gesundheitseinrichtungen. Den dritten Preis erhielt Jana Lichtnauer mit einer Bachelorarbeit über Erkennung und Handlungsempfehlungen bei einer Depression nach einem Schlaganfall.

Gesundheitskompetenz beeinflusst Gesundheitszustand

Als Schlussredner sprach Dr. Bernard Braun, Gesundheitswissenschaftler am Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik (SOCIUM) der Universität Bremen. In seinem Impulsreferat beleuchtete er die Gefahren der Gesundheitskommunikation. Als Voraussetzung für eine kritische Auseinandersetzung nannte er: 1. Medienkompetenz – die Fähigkeit, in unserer Medienwelt selbstbestimmt, kritisch und sozial verantwortlich zu handeln. 2. ‚Critical Thinking’: Die Kompetenz zu rationalem, analytisch wissenschaftlichem Denken, gestützt auf Beweise. 3. Gesundheitskompetenz oder ‚Health Literacy’ als Erfahrung, im Alltag Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die eigene Gesundheit auswirken. Ohne diese Fähigkeiten könnten Patienten im Dschungel unseres Gesundheitssystems mit all seinen Angeboten, Formalitäten und Beschränkungen kaum klarkommen. Im Vergleich mehrerer europäischer Länder habe die deutsche Bevölkerung unterdurchschnittliche Gesundheitskompetenzen. Einer Studie zufolge (Zok, 2014) hatten 45 Prozent der gesetzlich Versicherten problematische oder unzureichende Kenntnisse über unser Gesundheitssystem, betonte Braun. Insbesondere ärmere und weniger gebildete Menschen gehörten dazu. Sie hielten empfohlene Therapien seltener ein und hätten höhere Erkrankungs- sowie Sterblichkeitsrisiken als andere Patienten. Gerade für diese Gruppe sei gesundheitliche Aufklärung so wichtig. Dafür benötigten sie aber ausreichend Medienkompetenz.

Medienkompetenz beeinflusst Gesundheitskompetenz

Dazu müsse man bedenken, dass 14,5 Prozent der erwachsenen Deutschen (7,5 Millionen) keine zusammenhängenden Sätze lesen und schreiben könnten und weitere 25,9 Prozent (13,3 Millionen) erhebliche Schwierigkeiten damit hätten. „Das bedeutet, dass gerade die Patienten mit dem größten Bedarf die geringste Gesundheitskompetenz haben“, betonte Braun. Auch der Blick auf die Mediennutzung sei alarmierend: „2015 informierten sich nur 4 Prozent der Deutschen regelmäßig über gesundheitspolitische Themen (Bandelow et al 2015). Über andere Gesundheitsthemen informierten sich 2015 immerhin 89 Prozent. Die meisten jedoch in Gesprächen bei ihren Ärzten, Apothekern oder Bekannten. Unter den Medien schnitten kostenlose Broschüren von Krankenkassen und Apotheken noch am besten ab. Das könne an der fehlenden Reichweite liegen, aber auch am fehlenden Vertrauen der Bürger. Mit der Medienschelte von PEGIDA-Anhängern habe es jedoch nichts zu tun. Eine Bertelsmann Studie bestätige, „dass etwa 60-70 Prozent der Erwachsenen hierzulande kein Vertrauen in die Medien haben, Tendenz steigend.“ Ergebnisse einer österreichischen Studie gäben ihnen Recht: Nur in 11 Prozent der untersuchen 535 Print und 455 Online-Artikel mit Gesundheitsinhalten waren die Aussagen wissenschaftlich gesichert! Angesichts dieser Zahlen war Brauns Fazit nicht verwunderlich: „Es ist erschreckend, wie wenig belastbares Wissen große Teile der Bevölkerung über Gesundheitsthemen haben!“ Das Publikum stimmte er mit diesen Aussagen überwiegend nachdenklich.

Rückblick, Resümee und Ausblick

Tagungsmoderator Hartmut Wewetzer relativierte den Eindruck, während er die Beiträge des Symposiums Revue passieren ließ. Seine Frage, welches der drei anfangs skizzierten Zukunftsszenarien der Gesundheitskommunikation sich durchsetzen wird, könne auch nach dem Symposium nicht geklärt werden. Neben den „Pessimisten“, zu denen er Braun, Koch und Reifegerste zählte, gäbe es auch „Optimisten“. So hätten die Vorträge von Emmert, Wimmer und Döring ein positives Bild der Gesundheitskommunikation gezeichnet. „Vielleicht ist die Öffentlichkeit doch aufgeklärter als wir glauben, nur nicht so gut wie wir uns wünschen“, lautete Wewetzers Resümee. Anschließend fanden sich die Teilnehmer zum Get-together im Foyer zusammen, um darüber zu diskutieren und sich in entspannter Atmosphäre auszutauschen. Eine detaillierte Information über die einzelnen Vorträge wird Anfang 2018 in einem erweiterten Tagungsband im APOLLON University Press Verlag erscheinen. Das 9. APOLLON Symposium der Gesundheitswirtschaft wird am 10. November 2017 wie gewohnt im Swissôtel Bremen stattfinden. Weitere Informationen gibt es ab Sommer 2017 auf der Webseite der Fernhochschule unter www.apollon-hochschule.de.

Tagungszusammenfassung:

Dr. med. Heidrun Riehl-Halen

Medizinkontext